Leseprobe 1 

Mit verengten Augen suchte sie den Himmel ab, und ganz kurz erblickte sie einen weiteren Schatten unter den finsteren Wolkenbergen hinweggleiten. "Was war das?", flüsterte sie und sagte: "Hol Geralt oder meinen Vater! Beeil dich!"

Sander hielt erschrocken die Luft an. "Geht es dir wieder schlecht?"

"Sander, tu einfach, was ich dir sage. Sofort", rief sie.

Erschrocken ging er ein paar Schritte rückwärts und prallte gegen etwas. Lea bekam große Augen, denn es sah so aus, als würden ihm Flügel wachsen. Dann erhob sich eine große Gestalt hinter ihm. "Renn weg!", schrie sie ihn an.

Sander drehte sich langsam zu dem Hindernis um. Seine Fackel spiegelte sich im schwarzen Metall eines Brustpanzers. Als er die Fackel höher hielt, sah Lea fasziniert und entsetzt zugleich dabei zu, was sich ihnen offenbarte. Oberhalb des Brustpanzers kam ein kräftiger Hals mit wulstigen Muskelsträngen zum Vorschein, dann ein breites Kinn und ein hämisch grinsender Mund, der lange Eckzähne entblößte. Diese stachen weiß hervor, da die Haut der Kreatur nachtschwarz war. Zudem musste Sander seinen Arm fast ganz ausstrecken, um das Gesicht der Kreatur zu beleuchten. Aber das war zu viel für ihn. Abrupt ließ er die Fackel sinken, wobei das flackernde Licht die riesigen, abgespreizten Schwingen der Kreatur aus der Dunkelheit riss. Sander ließ die Fackel fallen, drehte sich zu Lea um und machte einen Schritt in ihre Richtung. Dies ließ sie aus ihrer Erstarrung erwachen, und sie stand hastig auf. Dann ging alles blitzschnell. Sander wurde von hinten gepackt, verlor den Boden unter den Füßen, und Lea brüllte aus Leibeskräften. "Nein!"

Sie rannte auf ihn zu, sprang hoch und klammerte sich an Sanders Schultern fest. "Wir brauchen Hilfe!", schrie sie.

Die Kreatur musste unglaublich stark sein, denn sie erhob sich weiter in die Lüfte und hielt sich nun, trotz des Gewichtes, ein paar Meter über dem Schiff. Allerdings gewann er nicht sehr schnell an Höhe. 



Leseprobe 2


„Ich bekam allmählich Atemnot, trotzdem konnte ich den Blick nicht abwenden. Das Wesen besaß silbergraue, fahl leuchtende Haut. Vom Stirnansatz bis weit über den Rücken hatte es eine stachelige Rückenflosse. Drei große, hellblaue und lidlose Augen starrten mich an, sie befanden sich auf der Stirn des Wesens. Es hatte ein vor Zähnen starrendes Maul, drei Fangarme an jeder Körperseite, und von der Hüfte abwärts folgte eine Schwanzflosse.“

Sie blickte kurz auf und fragte: „Du kennst doch das alte Buch von Vater? Das mit den Mythen und Sagen?“

Geralt konnte nur nicken, da sein Mund und der Hals staubtrocken waren.

„Dann hast du bestimmt die Zeichnung von der Nixe darin gesehen.“

Erneut nickte er.

„Solch eine Schwanzflosse hatte das Wesen auch.“

Lea starrte nach unten auf seine Hände, die ihre hielten.

„Wie konntet ihr euch befreien?“, fragte er heiser.

„Gar nicht! Dieses Wesen wollte uns töten, und ich bekam Panik, als Getica jegliche Gegenwehr einstellte. Ich sah dem Wesen in die Augen und flehte in Gedanken, dass es uns freigeben soll. Dabei zerrte ich an meiner Hand, so lange, bis es den Kopf schieflegte und mich ganz überrascht ansah. Dann wiegte es den Kopf hin und her, als wenn es überlegen würde, und wieder sagte ich in Gedanken: ‚Lass uns los!‘ Daraufhin entblößte es seine spitzen Zähne zu einem grausigen Grinsen und schüttelte langsam den Kopf.“

„Warte mal! Meinst du etwa, es hat dich verstanden?“

„Ich weiß, wie sich das anhören muss, aber es ist so geschehen. Und nach dem, was Mo mir heute Nachmittag erzählt hat …“



Leseprobe 3

Lea konnte sich keine Wesen vorstellen, die Verwendung für solche Möbel gehabt hätten, und dachte erleichtert: „Dies ist definitiv nur ein Traum. Und wenn ich gleich aufwache, wird sich herausstellen, dass auch alles andere bloß ein böser Traum gewesen ist.“

Sie ging lächelnd an den Regalen vorbei, bis diese endeten und Wandteppichen und Gemälden Platz machten. Dort verschwand ihre Zuversicht mit einem Schlag, und sie betrachtete angewidert einige Bilder. Darauf waren Menschen mit abgehackten Gliedmaßen zu sehen, die mit weit aufgerissenen Mündern den Betrachter anstarrten und darauf warteten, von der dunklen Gestalt, die sich auf allen Gemälden wiederfand, endlich erlöst zu werden. Mit flauem Magen kehrte sie der Wand den Rücken, und ihr Blick fiel sofort auf einen steinernen Schreibtisch an der gegenüberliegenden Wand. Auf diesem stand eine Öllampe, die einzige Lichtquelle in dieser Höhle. Lea starrte den Stuhl an, der ebenfalls über eine sehr hohe Rückenlehne verfügte, und ein seltsames Gefühl überkam sie. Wie von selbst bewegten sich ihre Beine langsam voran, als ob sie magisch angezogen würden. Und Lea fragte sich noch, ob dort wohl jemand saß. Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende geführt, ertönte eine tiefe Stimme. „Ich habe befohlen, mich nicht zu stören!“

Abrupt blieb sie stehen und sah den Mann erschrocken an, der urplötzlich vor dem Schreibtisch stand. Er trug einen schweren Ledermantel mit einer Kapuze über seinem Kopf.

Mit einem leisen Knurren ging er knapp an ihr vorbei zur Tür, wobei er sie nicht zu bemerken schien.

„Verzeiht, Meister! Ich bin einer Spur gefolgt, die mich hierher führte.“

„Und, siehst du hier jemanden außer mir“, fragte der Mann erbost.

Kleinlaut antwortete der andere. „Nein, Herr. Aber ich bin mir sicher, dass mich meine Nase nicht täuscht.“

Melea konnte ihn nicht sehen, ging aber davon aus, dass es sich um ihren knurrenden Verfolger handelte. Ein wütendes Knurren war nun zu hören, was wiederum von dem Mann stammte und er sagte grollend: „Ich werde deine Nase gleich abschneiden und dir als Nachtmahl zubereiten, wenn du nicht augenblicklich verschwindest.“

Meleas Verfolger winselte leise. „Ja, Meister, ich bin schon weg.“

Der Kapuzenmann warf die Tür ins Schloss und kehrte langsam in die Höhle zurück. Dabei fiel Lea seine Statur auf. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Der Mann war größer und breiter als Geralt, und der maß bereits knapp zwei Meter. Hinter dessen breitem Kreuz hätte sie sich zweimal verstecken können.

„Wieso kann ich ihn sehen, aber den anderen nicht? Und warum sieht er mich nicht“, fragte Lea sich unbehaglich.

Als er auf ihrer Höhe war, überkam sie plötzlich ein unbeschreibliches Gefühl der Furcht. Unwillkürlich wich sie zurück. Doch sie hielt mitten in der Bewegung inne, da der Mann abrupt stehenblieb und seinen Kopf in ihre Richtung drehte. Lea konnte nur die Kinnpartie und den Mund sehen, da der Rest des Gesichtes im Schatten der Kapuze verschwand. Sie spürte, dass er sie anstarrte. Leise knurrend wandte er sich zu ihr, und Lea hielt den Atem an. Ganz langsam wich sie zurück und erstarrte erneut, als sie ihren Schatten entdeckte, der bis zur gegenüberliegenden Höhlenwand reichte. Erschrocken blickte sie auf, genau in dem Moment, als sich eine Hand um ihren Hals schloss. Prompt verlor sie den Boden unter den Füßen und krachte mit dem Rücken gegen eine Wand.



Leseprobe 4


Mo kam zu ihnen herüber und setzte sich neben Lea aufs Bett. Er legte eine Hand auf ihre Schulter.

„Respa spricht wahr! In einem Ahnenritual wurde mir offenbart, dass die Menschen nur mit Torgulas Armee eine Chance haben, diesen fremden Wesen zu trotzen und sie zurückzuschlagen. Die Feuerahnen zeigten mir außerdem, dass du in Mesura eine Aufgabe erfüllen musst, Lea. Es wird ausschließlich von dir abhängen, ob sich die geeinten Reiche mit Torgulas verbünden werden. Auch den Halbgott musst du dazu bewegen, seine Armee gegen die fremden Kreaturen aufs Schlachtfeld zu schicken. Und das wird der schwierigere Teil, denn er hasst die Menschen und würde mit Freuden dabei zusehen, wie wir vernichtet werden.“

Lea sah erst Mo und dann Respa sprachlos an.

„Die Geister zeigten mir fast das Gleiche. Als erstes musst du die Königin von Mesu von der bevorstehenden Bedrohung überzeugen. Es ist erforderlich, dass sie den Herrscherrat einberuft. Sie muss Nachrichten an die anderen Königreiche und zu Torgulas senden, das ist vorerst das Wichtigste.“

Lea hätte fast laut aufgelacht. Es beschlich sie jedoch das ungute Gefühl, dass die beiden ernst meinten, was sie sagten. „Ihr sprecht von Armeen, von einem bevorstehenden Krieg gegen Wesen, von denen ich gerade mal eines zu Gesicht bekommen habe. Und mal abgesehen davon, dass ich dies ganz sicher nicht tun werde. Wie sollte ausgerechnet ich die Könige sämtlicher Reiche von einer Bedrohung überzeugen, von der wir überhaupt noch nichts wissen? Ihr seid doch völlig irre!“



Leseprobe 5

Lea hätte fast aufgeschrien, als die Stimme in ihrem Kopf erklang. Erschrocken hielt sie sich eine Hand vor den Mund und hockte sich hastig neben eine riesige Truhe, als es plötzlich heller wurde. Zwei große Feuerschalen standen da, und ihr Inhalt fing plötzlich Feuer. Die Schalen flankierten einen großen, goldenen Thron. Leas Augen weiteten sich, als sie die seltsame Kreatur darauf betrachtete. Das Wesen besaß einen fast menschlichen Körper, abgesehen davon, dass die dürren Arme und Beine viel zu lang waren. Der Kopf war nicht menschlich und wirkte viel zu groß, ebenso wie die giftgrünen und lidlosen Augen. Einen Mund gab es nicht, und dort, wo die Nase hätte sein sollen, befanden sich zwei kleine Löcher. Unter der milchig weißen Haut schimmerten grüne Adern.

Lea wandte fassungslos den Blick ab, da sie laute Schritte vernahm, und hielt unwillkürlich den Atem an, als Medon und ein weiterer Geflügelter den Raum betraten. Die beiden knieten vor dem Thron nieder, und wieder erklang eine Stimme in ihrem Kopf. Diese besaß einen sehr sanften Klang. Dennoch bekam Lea eine Gänsehaut.

„Sprecht!“


Leseprobe 6


Abseits der Kalmarer lehnte Prinz Morkson an einer Säule. Er schien die Menschen zu beobachten, genau konnte Nalia dies jedoch nicht beurteilen, da er immer noch Mantel und Kapuze trug. Sie gesellte sich zu ihm. Zum einen, weil er ihr etwas leidtat und zum anderen, weil sie etliche Fragen an ihn hatte.

„Habt Ihr Euch etwas erholen können, Prinz“, fragte Nalia, wobei sie den Kopf in den Nacken legen musste, um zu seinem Kopf aufzusehen. Morkson überragte sie um mehr als zwei Haupteslängen.

„Ja!“

„Wie ich sehe, tragt Ihr noch immer Euren Mantel. Wäre es nicht bequemer, diesen abzulegen?“

„Glaubt mir, es ist besser, wenn ich meine Augen verdeckt halte. Sie könnten auf die Menschen hier verstörend wirken. Aber eigentlich ist es Euch auch egal, wie ich hier stehe. Ihr wolltet mich etwas ganz anderes fragen, nicht wahr?“

Nalia überkam ein eisiger Schauder, als er sie finster anlächelte. „Ja, ich habe in der Tat einige Fragen an Euch.“

Er verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. „Hat es etwas mit dem Mädchen zu tun, über das alle voller Sorge sprechen?“    Nalia hob überrascht eine Augenbraue. Wieder dieses fiese Lächeln.

„Ich bin ein guter Zuhörer. Und die vier dort vorne haben sich die ganze Zeit über nichts anderes unterhalten.“

Er deutete auf Rion, Geralt, Mowanye und Respa.

„Ihr wart in ihrem Geist und habt versucht, sie zurückzuholen?“

„Es blieb leider nur bei dem Versuch.“

„Interessant. Ich wusste gar nicht, dass Ihr über eine solche Fähigkeit verfügt. Erzählt mir, was geschehen ist. Wer weiß, vielleicht helfe ich Euch ja.“

Die Königin wandte den Blick von ihm ab, weil sie plötzlich heftige Kopfschmerzen bekam, und wies mit einer Hand zur Tafel. „Setzt Euch an meine Seite. Ich werde Euch berichten, was passiert ist. Obwohl ich nicht weiß, wie Ihr mir bei diesem Problem helfen könntet.“

„Ich habe viele Talente, Ihr würdet euch wundern. Aber Ihr solltet es nicht herausfordern, dass ich Euch eine Kostprobe gebe. Deswegen wäre es angebracht, Eurer Wächterin zu sagen, sie möge ihren Dolch wegstecken. Es könnte nämlich sein, dass ich in naher Zukunft sehr ungehalten darauf reagiere.“

Nalia schaute sich um, konnte die Wächterin aber nirgends entdecken.

„Sie steht links neben Euch“, sagte der Prinz knurrend.

Nalia streckte ihren linken Arm etwas zur Seite aus und traf tatsächlich auf Widerstand.

„Steckt den Dolch weg, sofort“, herrschte sie die Wächterin leise an.

„Seht es Ihr nach. Lichtwesen haben kein gutes Verhältnis zu meinesgleichen.“






 
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